Miniatur-Kaffeeservice in Nivea-Dose

Eines der feingliedrigsten, mehrteiligen Objekte in der Sammlung der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück ist das sogenannte Teeservice aus dem Nachlass von Elisabeth Dreßler, geborene Ullrich, genannt Lisa. Das fragile Ensemble aus Fischknochen und Bindfäden, bestehend aus einer Kanne mit Deckel, der Griff aus grünem Garn, dazu passende Milchkännchen, Dosen und Tassen wurde jahrelang in einer Creme-Dose der bekannten Marke Nivea verwahrt. In der aktuellen Datenbank als „Teeservice“ kategorisiert, lässt sich die handgefertigte Kanne aus zwei übereinander gelegten Wirbelkörpern der Form nach jedoch auch als eine Kaffeekanne charakterisieren.
Ein Kaffeeservice in einer Niveadose, ein Artefakt aus dem Konzentrationlager? Das Objekt wirft eine Reihe von Fragen auf: Wann und von wem wurde dieses Objekt so kundig entworfen? Woher kam das Material und wie genau wurde es bearbeitet? Derzeit lässt sich nur feststellen, dass das Service aus mehreren, unterschiedlich großen Wirbelkörpern eines Fisches sowie Garn hergestellt wurde. Auch die Frage, inwieweit dieses Service überhaupt in Ravensbrück hergestellt wurde, bleibt derzeit noch offen. Sicher ist bisher lediglich, dass die Nivea-Dose zwischen Januar 1935 und Dezember 1937 produziert wurde, so die Angaben des Archivars der Beiersdorf AG. Lisa Ullrich hob die Niveadose bis zu ihrem Tod im Jahr 1986 auf.
Acht Jahre später übergab Barbara Reimann, die selbst ab Ende April 1944 bis zur Befreiung des Lagers gemeinsam mit ihrer Mutter im Frauenkonzentrationslager Ravensbrück inhaftiert gewesen war, Objekte, Briefe und Unterlagen aus dem Nachlass Ullrichs an die Gedenkstätte. Weder in den Übergabeprotokollen, noch in den Briefen und Notizen finden sich Hinweise auf dieses Objekt. In dem Nachlass befinden sich weitere Miniaturen wie ein Schachbrett mit Figuren aus Brot. Nur wenige dieser Objekte geben jedoch so eindeutige Hinweise auf den Entstehungskontext wie eine kleine selbstgestaltete Karte, die im Text die Position Lisa Ullrichs als Blockälteste in Ravensbrück nennt. Lediglich in einem Erinnerungsbericht von Clara Rupp wird ein „feines Kaffeeservice in Miniaturgröße“ genannt. Ob es sich dabei um das hier vorgestellte handelt oder aber um eine der Miniaturen, die aus Zahnbürstenstielen gefertigt wurden, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Die Beschreibung ist dafür zu uneindeutig.

Fischknochen wird schon lange als Material im Kunsthandwerk verwendet, oft auch als Ersatz für Elfenbein. Im Schweizer Internationalen Rotkreuz- und Rothalbmondmuseum (Musée international de la Croix Rouge et du Croissant Rouge) in Genf befindet sich ein vergleichbares Teeservice, ebenfalls aus den Materialien Fischknochen, Baumwolle und Glas. (Abb. in Katalog, S. 123). Dieses Service wurde allerdings von russischen Kriegsgefangenen im Ersten Weltkrieg hergestellt. Möglicherweise handelt es sich bei dem Ravensbrücker Service auch um ein Erinnerungsobjekt von Lisa Ullrich, das sich bereits vor ihrer ersten Verhaftung und Inhaftierung 1934 in ihrem Besitz befand und das sie gemeinsam mit anderen Erinnerungsobjekten aus den verschiedenen Stationen ihrer Gefangenschaft aufbewahrte.
Die Recherche zu diesem Objekt wie auch zu den anderen Artefakten aus dem Nachlass von Lisa Ullrich sind noch nicht abgeschlossen. Sobald wir jedoch Neues zur Objektgeschichte hinzufügen, ergänzen oder gar verbessern können, werden wir hier eine aktualisierte Version veröffentlichen.

Miniatur-Kaffeservice in Dose | undatiert | Knochen, Textil, Metall
Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück, V1895 D2

4 Gedanken zu „Miniatur-Kaffeeservice in Nivea-Dose

    1. Guten Tag,

      vielen Dank für Ihren Kommentar. Der Text gibt den aktuellen Forschungsstand zum Service wieder, weitere Informationen wurden bisher nicht ermittelt. Vielleicht kann ein Vergleich mit ihrem Service helfen. Vielleicht können Sie uns ein Foto und die Ihnen bekannten Informationen dazu zukommen lassen?

      Freundliche Grüße
      N. Warnemünde

    2. Ich bin über meine Großeltern (geb. 1898 und 1900) ebenfalls in den Besitz eines solchen Miniaturservices mit kunstvollem Holztablett gekommen. Kenntnis über die Herkunft habe ich leider nicht. Es gab in Worms ein WK1 Kriegsgefangenenlager, sehr mehrheitlich Russen. Vielleicht sind „Service“ und Holztablett nicht aus einer Hand…..eine große „Kaffeekanne“ könnte aber auch einen Samowar nachbilden.

      1. Sehr geehrter Herr Edelmann,
        vielen Dank für Ihre Nachricht und den Hinweis auf das Lager in Worms. Würden Sie uns ein Foto ihres Objekts zukommen lassen?
        Mit freundlichen Grüßen
        Christiane Heß

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