Kämpferische Symbole für eine Kommunistin

Eine kleine Miniaturtänzerin und ein fünfzackiger Stern wurden als Geschenk von der inhaftierten Kommunistin Johanna Sturm an die Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück Gedenkstätte übergeben. Während ihrer Zeit im Lager erhielt sie Hanna Sturm einst selbst als Geschenk von einem Mithäftling. Betrachtet man beide Objekte als widerständische Symbole können sie viel über das Leben ihrer letzten Besitzerin erzählen.

Miniaturtänzerin und Stern. Foto: MGR/SBG V560 D2

Miniaturtänzerin und Stern. Foto: MGR/SBG V560 D2

Nur 3,5 cm hoch und 3,0 cm breit ist die kleine Miniatur, geschnitzt aus rotem Kunststoff. In der Sammlungsdatenbank der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück ist sie unter dem Objekttitel „Miniaturtänzerin“ verzeichnet. Den Kopf mit ihren langen Jahren in den Nacken gelegt, den rechten Arm zum Himmel erhoben sieht es tatsächlich so aus, als würde sie tanzen. Das rechte Bein voran gestreckt verstärkt den Eindruck einer fließenden Bewegung. In der linken Hand hält Sie einen länglichen Gegenstand, vielleicht ein geschwungenes Tuch, dass zu ihrer Tanzdarbietung gehört. Die Miniaturtänzerin wird ergänzt durch einen fünfzackigen Stern aus schwarzem Kunststoff mit einem orange-farbenen Hammer und Sichel Motiv. Beide Objekte sind auf blauen Stoff geheftet. Ob zwischen ihnen ein Zusammenhang bestand und sie in diese Kombination während der Haft im Lager hergestellt worden sind, konnte nicht geklärt werden. Fest steht nur, die Objekte waren eine Schenkung von Hanna Sturm, die damit vermutlich einen Beitrag für die Sammlung der im Entstehen begriffen Gedenkstätte leisten wollte. Ehemalige Häftlinge waren 1958 zum Spenden von Objekten für eine Ausstellung gebeten worden.

Zur Biografie
Johanna, genannt Hanna Sturm war eine österreichische Kommunistin, Gewerkschafterin und Widerstandskämpferin. Im März 1938 unmittelbar nach dem „Anschluss“ Österreichs wurde sie wegen ihrer politischen Arbeit verhaftet und 1939 in das neu errichtete KZ Ravensbrück deportiert. Bis das Lager Ende April 1945 aufgelöst wurde war Hanna Sturm unter der Häftlingsnummer 893 dort sechs Jahre lang inhaftiert.

Als Funktionshäftling leitete sie ein Arbeitskommando für Handwerksarbeiten, das Mithäftlingen zynisch nach ihrem Familiennamen  „Sturmkolonne“ nannten. Die gewöhnlich um die 24 Frauen zählende Handwerksgruppe führte im gesamten Lagerkomplex Reparaturen aus, dadurch konnten die Frauen sich verhältnismäßig frei bewegen und verfügten über Handlungsspielräume, mit denen sie anderen Mithäftlingen halfen. Für ihre Reparaturarbeiten hielt sich das Arbeitskommando auch in Bereichen auf, die dem SS-Personal vorgehalten waren, wie in der vor dem Häftlingslager gelegenen SS-Siedlung, in der die Aufseherinnen wohnten. Dadurch gelangten die Frauen an Material, Lebensmittel, aber auch an Informationen, die sie dazu nutzten, Mithäftlinge vor Strafen und Selektionen zu schützen. Durch diese gegenseitige Solidarität konnten sie Überlebensstrategien entwickeln. Die „Sturmkolone“ nahm eine wichtige Funktion der Vernetzung und des partiellen Widerstands gegen den unmenschlichen „Lageralltag“ ein. Veranschaulicht sind diese Überlebensstrategien u.a. in der Autobiographie von Hanna Sturm aber auch durch die Aussagen ehemaliger Häftlinge kann beschäftigt werden, dass Hanna und die „Sturmkolonne“ ihre Arbeit nutzen, um vielen Einzelnen weiterzuhelfen. (1)

Ein Vorschlag zur Interpretation
Miniaturen wie die kleine Tänzerin waren im Lager hauptsächlich als Geschenke für andere Mithäftlinge gedacht, beispielsweise zu persönlichen und religiösen Feiertagen, zur moralischen Unterstützung oder als Dank für eine Hilfeleistung. Die Miniaturtänzerin bekam Hanna Sturm von einem Mithäftling geschenkt. Wie andere Miniaturen auch ist sie unter widrigen Umständen entstanden, ihre bloße Anfertigung galt als Akt der Sabotage. Auch der bloße Besitz solcher Objekte war verboten und wurde bestraft.

Daneben steht der Wert, den der Besitz der Objekte für die Häftlinge selbst einnahm. Eine Miniatur sein Eigen zu nennen war u.a. Ausdruck von Widerstand und eine subversive Tat. Die Miniaturtänzerin war also ein wertvolles Geschenk, wer sie aber und aus welchem Grund Hanna Sturm schenkte ist nicht bekannt. Es kann aber vermutet werden, dass sie das Dankeschön für eine Hilfeleistung von Hanna Sturm und ihrer Arbeitskolone war. Solche Hilfeleistungen wie das Beschaffen von Lebensmitteln oder warmer Kleidung konnten im Zweifelsfall den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeuten. Aber auch das Helfen selbst, die Anfertigung und der Besitz von Objekten bargen ein Risiko; von daher ist die Existenz von Objekten wie der Tänzerin ein widerständisches Zeichen.  Die Figur streckt den rechten Arm in die Luft, sie tanzt, vielleicht erhebt sie aber auch die geballte Faust zum Himmel. Um zu zeigen: ich gebe nicht auf, ich bin hier und kämpfe und verteidige meine Menschenwürde, als Erinnerung an eine Welt vor oder nach dem Lager, in der man individuellen Besitz haben oder tanzen durfte. Die Tänzerin als Kämpferin ist eine Mutmaßung, genauso wie die Annahme, dass die Miniatur Hanna Sturm gefallen haben mag.

Eine kämpferische Haltung ist aber geeignet, um das Leben von Hanna Sturm zu beschreiben, genauso wie das zweite Objekt der fünfzackige 1,5 mal 1,2 cm große schwarze Kunststoff-Stern mit geschnitztem orange-rot Hammer und Sichel Motiv. Das bekannteste Symbol des Kommunismus und der sich dazu bekennenden Arbeiter*innenklasse. Hanna Sturm war Arbeiterin, Gewerkschafterin und Kommunistin, ihr offizieller Haftgrund politischer, kommunistischer Widerstand. Hanna Sturm politisiert sich früh, arbeitete schon mit acht Jahren in der Fabrik und nimmt mit 14 Jahren an ihrem ersten Streik teil. Als sie daraufhin ihre Arbeit verliert schließt sie sich 1907 in Wien der Arbeiter*innenbewegung an. 1927 tritt Hanna Sturm der Kommunistischen Partei Österreichs bei, kann aber wegen ihrer gewerkschaftlichen und politischen Arbeit immer schwerer Arbeit finden. In Wien und Bremen wird sie zur Betriebsrätin gewählt, was in beiden Fällen zu Kündigungen führt. Nach dem Verbot der KPÖ 1933 arbeitet sie in der Illegalität des austrofaschistischen „Ständestaates“ weiter. Konflikte innerhalb der Partei führen zwar zum Ausschluss von Hanna Sturm, trotzdem wird sie nach dem „Anschluss“ Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland 1938 von der Gestapo verhaftet, verhört und später zu zehn Jahren Haft verurteilt, die sie nach Ravensbrück bringen. (2)

Ihrer politischen Überzeugung hat sie dabei ihrer Autobiographie zufolge, die sie die „Lebensgeschichte einer Arbeiterin“ nannte, nie abgeschworen. Die politischen Häftlinge in Ravensbrück waren miteinander vernetzt, ihr gehobene Stellung in der Lagerhierarchie ermöglichte es ihnen untereinander Solidarität zu praktizieren, die auch als Akt eines politischen Widerstands verstanden wurde.  Es ist daher denkbar, dass die Miniatur des Sterns das Geschenk einer Genoss*in war, als Zeichen der gemeinsamen Verbundenheit für die Ideen des Kommunismus zur Vergewisserung und Stärkung der eigenen Überzeugung.

Die Miniaturtänzerin und der Stern können somit als Symbole der Selbstbehauptung der eigenen Identität und Integrität betrachtet werden. Der hohe symbolische Wert machte den Besitz selbst zu einer Überlebensstrategie, denn aus ihm konnte Kraft geschöpft werden. Welche konkrete Bedeutung Stern und Tänzerin für Hanna Sturm hatte kann nicht geklärt werden, belegt ist nur das sie geschenkt wurden. Für eine Frau, die sich ihr ganzes Leben für andere eingesetzt hat, die aufgrund ihrer politischen Einstellung auch im Lager vielen Mithäftlingen geholfen hat, waren sie wahrscheinlich ein gutes Geschenk. Vielleicht haben die Objekte Schenkende und Beschenkte bestärkt ihre subversive Arbeit fortzuführen, die Hilfe für andere Häftlinge fortzuführen oder weiter als „Sabotage“ Miniaturen anzufertigen. Der Beitrag, den solche kleinen Dinge zu leisten vermochten, sollte vor dem Hintergrund der unmenschlichen Haftbedingungen in jedem Fall nicht unterschätzt werden.

(1) Vgl. Herbert Brettl: Nationalsozialismus im Burgenland: Opfer, Täter, Gegner, Studien Verlag, Innsbruck 2013, S.101-102.
(2) Vgl. Hanna Sturm: Die Lebensgeschichte einer Arbeiterin; Vom Burgenland nach Ravensbrück. Bearb. von Gro Fisch. Verlag für Gesellschaftskritik, 2. Aufl., Wien 1982.

Weitere verwendete Quellen
Institut für Konfliktforschung Wien: Website „ÖsterreicherInnen im KZ Ravensbrück“, aufgerufen am 24.02.2021 unter: https://www.ravensbrueckerinnen.at.

Website der Österreichischen Lagergemeinschaft Ravensbrück & FreundInnen (ÖLGR/F), aufgerufen am 24.02.2021.

Miniatur| Kunststoff, Textil, Faden |3,5 x 3,0 cm und 1,5 x1,2 cm |  MGR/SBG  V560 D2

Autor: Pascal Paterna

Dieser Beitrag wurde erstellt im Rahmen des Projektseminars im WiSe 2020/21 in Kooperation mit der FU Berlin/ Public History.

 

 

 

 

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