Ein Handtuch für die Selbstbehauptung

Ein Handtuch konnte in einem nationalsozialistischen Konzentrationslager den Unterschied zwischen Leben und Tod bedeuten. Das Privileg sich regelmäßig waschen zu können und einen gewissen Standard an Körperhygiene zu erhalten, hatten nicht viele Menschen in den Lagern. Im Zusammenhang mit individuellen Freiräumen und der Möglichkeit des „Organisierens“ [1] konnten Häftlinge des Frauen-Konzentrationslagers Ravensbrück jedoch, Gegenstände während ihrer Haftzeit behalten und sich aus diesen Überlebensstrategien formen.

Gefaltetes Handtuch. MGR/SBG V6159 B1

Gefaltetes Handtuch. MGR/SBG V6159 B1

In Konzentrationslagern wie Ravensbrück hatten die Häftlinge keine Möglichkeit sich regelmäßig zu waschen. Sowohl Zahnbürsten als auch Seife, Waschlappen und fließendes Wasser waren zwar im KZ Ravensbrück vorhanden, jedoch nie ausreichend. Umso ungewöhnlicher erscheint das Objekt, welches in diesem Beitrag vorgestellt wird: Es handelt sich um ein Handtuch von Lucie Bub, geborene Weimer. Das Handtuch hat eine Höhe von 140cm und eine Breite von 42,5 cm, somit ist es mit seinen 5.959 cm² nur etwas größer als ein herkömmliches Geschirrhandtuch. Es ist aus einem Frottee / Baumwollgemisch gefertigt und verziert mit floralen weißen Ornamenten auf rosa Untergrund.  An einer Ecke des Handtuchs befindet sich ein kleiner Aufnäher, auf dem die Initialen der Besitzerin gestickt sind, L.W. Der Aufnäher ist weiß und ca. 1cm x 1,5 cm groß, die Initialen sind dunkelrot und nur so groß wie eine Eineuromünze. Es ist anzunehmen, dass der Aufnäher und die sich darauf befindenden Initialen bereits vor Lucie Weimers Haftzeit in Ravensbrück auf das Handtuch gestickt wurden. Die Stickerei ist ausgesprochen fein und scheint maschinell gefertigt worden zu sein. Zwar gab es im KZ Ravensbrück eine Schneiderei, in der viele der weiblichen Häftlinge Zwangsarbeit leisten mussten, jedoch wurde die als Krankenschwester ausgebildete Lucie Weimer im Krankenrevier des Lagers eingesetzt, weshalb sie wahrscheinlich keinen Zugang zu Nähmaschinen hatte.

Zur Biografie

Lucie Weimer wurde 1921 in der Nähe von Limburg geboren und wuchs in einer christlich geprägten Familie auf. 1939 begann Lucie ihre Ausbildung zur Krankenschwester und arbeitete anschließend in der Universitätsklinik Gießen. Während ihrer dortigen Tätigkeit geriet Lucie in den Konflikt mit dem Lebensborn-Verein des NS-Regimes, der in Krankenhäusern und in anderen Kontexten Frauen kontaktierte, um sie anschließend mit SS-Männern zu verheiraten.  Durch diese vermittelten Ehen sollte der Erhalt der sogenannten „Herrenrasse“ gesichert werden. Am 02. August 1943 wurde Lucie Weimer wegen einer kritischen Äußerung denunziert und verhaftet. Sie wurde als sogenannter Volksschädling am 01. Oktober 1943 in das Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück überstellt und wurde mit einem roten Dreieck als politischer Häftling gekennzeichnet. Sie erhielt die Häftlingsnummer 23817. Auf Grund der dünnen Quellenlage können diese Informationen zu Lucie Weimers Biografie nicht abschließend bestätigt werden. Es ist anzunehmen, dass Lucie Weimer das Handtuch mit in das KZ Ravensbrück gebracht hat und es nach ihrer Ankunft behalten durfte. An einer anderen Stelle des Handtuchs fällt eine weitere Stickerei auf. Die Häftlingsnummer Lucie Weimers ist mit einem gelben Garn von Hand in das Handtuch eingelassen worden: 23817 R. Das groß geschrieben R steht wahrscheinlich für das KZ Ravensbrück. Dadurch, dass diese Stickerei von Hand in das Handtuch gestickt wurde, ist es möglich, dass sie während der Haftzeit Lucie Weimers entstanden ist.

Als Lucie Weimer nach Ravensbrück gebracht wurde, befand sich das KZ in einer akuten Überbelegung. Die sanitären Anlagen reichten für die große Anzahl an Häftlingen nicht aus. Körperpflege zu betreiben war nahezu unmöglich. Für alle Häftlinge stieg die Gefahr sich an den in Ravensbrück verbreiteten Krankheiten anzustecken. Möglicherweise gelang es Lucie Weimer durch den Besitz ihres Handtuchs sich zu pflegen und gesund zu bleiben. Der Besitz eines Handtuchs bedeutet jedoch nicht den Zugang zu Wasser und Seife, sondern lediglich eine mögliche oberflächliche Reinigung. Neben der Funktion als Gebrauchsgegenstand, konnte ein Handtuch auch eine Form der Selbstbehauptung darstellen.

Lucie Weimer wurde im Revier des Konzentrationslagers als Häftlingskrankenschwester eingesetzt. Es ist möglich, dass es ihr durch diese Position gelang ihr Handtuch zu behalten und zu nutzen. Lucie Weimer genoss durch ihre Hilfsbereitschaft und ihre Nächstenliebe einen sehr guten Ruf unter den Häftlingen. Sie wurde von ihren Mithäftlingen Lucia, Die Leuchtende oder Die Lichtbringende genannt. In einem Zeitzeuginneninterview berichtet ein ehemaliger Mithäftling von Lucie, Eilith von de Fort, wie sie Lucie wahrgenommen hat. Sie betont die christliche Haltung Lucies, durch die es ihr anscheinend nicht nur gelang, das KZ Ravensbrück zu überleben, sondern auch ihren Mithäftlingen Trost zu spenden:

„Durch Liebe und tiefen Glauben hat Lucia unendlich viel geholfen. Stark und einfach, wies sie mit wenig Worten den Ärmsten den rechten Weg. Heimlich trafen sie sich und sie betete mit ihnen. Daß immer mehr und mehr kamen und Lucia doch nie verraten wurde, ist ein Zeichen dafür, dass selbst in diesem Abgrund das Gute stark und kräftig war.“

Die Solidarität, die Lucie ihren Mithäftlingen gegenüber an den Tag legte war keine Selbstverständlichkeit innerhalb eines Konzentrationslagers. Denn obwohl alle Frauen, die in Ravensbrück inhaftiert waren von dem NS-Regime verfolgt wurden, gab es keine bedingungslose Solidarität zueinander. Üblicherweise blieben die Frauen in ihren Häftlingsgruppen für sich und kämpften um das eigene Überleben, nicht um das der anderen Frauen. Trotzdem wurde sie nicht verraten und konnte ihre Haftzeit dafür nutzen andere Frauen unterstützen. Lucie Weimer wurde am 15. November 1944 aus Ravensbrück entlassen und konnte nach Hause zurückkehren. Sie heiratete und gründete eine Familie. Das Handtuch aus Ravensbrück hatte sie mitgenommen und bewahrte es bis zu ihrem Tod am 20. Mai 2013 auf. Es wurde am 19. Dezember 2016, vermutlich von ihrer Tochter, an die Gedenkstätte Ravensbrück gespendet.

[1] Wachsmann, Nikolaus: KL, Die Geschichte der nationalsozialistischen Konzentrationslager, London 2015, S. 251f.

Handtuch | Baumwolle, Frottee | 140 x 42,5 cm | MGR/SBG V6159 B1

 

Autorin: Freya Ziegelitz.

Dieser Beitrag wurde erstellt im Rahmen des Projektseminars im WiSe 2020/21 in Kooperation mit der FU Berlin/ Public History.

 

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