Nur Spielzeug und Strohschuhe? Kunsthandwerkliche Produktion im KZ Ravensbrück

Das „Kommando Kunstgewerbe“ oder die „Kunstgewerbliche Abteilung“ war ein temporäres Arbeitskommando im Frauen-Konzentrationslager Ravensbrück. Im Frauen-KZ Ravensbrück gab es spätestens ab 1941 mehrere Werkstätten und Arbeitskommandos, in denen Häftlinge kunsthandwerkliche, künstlerische und zeichnerische Auftragsarbeiten für die SS fertigen mussten und diese Orte wie auch das zur Verfügung stehende Material darüber hinaus für eigene – im Verborgenen – erstellte Artefakte nutzten.

Das „Kommando Kunstgewerbe“ bestand zwischen 1941 und 1943. Je nach Auftragslage waren dort unterschiedlich viele – zwischen 20 und 150 – weibliche Häftlinge beschäftigt. Offiziell gehörte dieses Arbeitskommando zur Gesellschaft für Textil- und Lederverwertung mbH (Texled). Das „Kommando Kunstgewerbe“ war in den über zwei Jahren an verschiedenen Standorten im sich gleichzeitig im Wandel befindlichen Lager untergebracht: In der Baracke zusammen mit der Näherei; in einer Abteilung, wo Holz verarbeitet wurde sowie in der Schusterei. Diese Ortswechsel erschweren heute die genaue Verortung der Werkstatt und eine Systematisierung der Produktionsbedingungen. Obwohl dieses Arbeitskommando nur für einen vergleichsweise kurzen Zeitraum existierte, finden sich Hinweise in zahlreichen Berichten, viele Objekte oder auch Biografien sind damit verbunden (worden).

Bereits in den ersten Publikationen zu den Konzentrationslagern, darunter Eugen Kogons Studie des SS-Staates, wird auf die unterschiedlichen Kunsthandwerksbetriebe verwiesen, die in fast allen großen Konzentrationslagern eingerichtet waren.[1] Zwei frühe, sehr ausführliche Berichte verfasste auch die polnische Überlebende Stanisława Schönemann-Łuniewska. Sie war im „Kommando Kunstgewerbe“ tätig und eine von insgesamt drei Funktionshäftlingen dieses Arbeitskommandos im KZ Ravensbrück. Nach ihrer Rückkehr nach Polen hat sie ausführlich über die Geschichte und Erfahrungen der polnische Haftgruppe berichtet. In Auszügen wurden ihre Erinnerungen bereits veröffentlicht. Vollständig auf deutsch übersetzt wurde der um 1946 aufgezeichnete Bericht erst kürzlich – mit Mitteln der VW-Stiftung und des Internationalen Freundeskreis Ravensbrück. Stanisława Schönemann-Łuniewska betont immer wieder die Eigeninitiative der Polinnen in dem Arbeitskommando. So schreibt sie, dass ihr das Kunstgewerbe verhalf „Erzeugnisse für die Bestechung der Aufseherinnen zu liefern und [es] ermöglichte mir auch den Zugang zu wunderschönen Futterstoffen als Bestechungsmittel.“ [2] Die Betonung der Handlungsräume für Häftlinge in diesem Arbeitskommando kennzeichnen diesen frühen Erinnerungsbericht.

So heißt es an einer anderen Stelle: „Manchmal musste man ein riskantes Spiel führen. Das Lager war wie ein Dschungel – nur mit stets geschärfter Aufmerksamkeit war es möglich, Gefahren zu erkennen und den richtigen Weg zwischen ihnen zu wählen.“ Dies war jedoch nur – wie Stanisława Schönemann-Łuniewska auch berichtet – für wenige Häftlinge möglich.

Offiziell wurden im „Kommando Kunstgewerbe“ sogenannte Damenpantoffeln aus Stroh und Stoffresten sowie Holzspielzeug hergestellt. Ein Blick in das Depot der Mahn- und Gedenkstätte zeigt, dass nur sehr wenige der Auftragsarbeiten für die SS überliefert sind: So ist in der Dauerausstellung „Das Führerhaus“ in der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück eine Handtasche aus Stroh und Stoffen zu sehen, die vermutlich im Arbeitskommando Kunstgewerbe hergestellt wurde. Diese wurde 2001 an das Depot der Gedenkstätte übergeben. Von den Damenpantoffeln aus Stroh für die „Berliner Empfänger“, wie es bei Stanisława Schönemann-Łuniewska heißt, gibt es bisher keine im Depot der Mahn- und Gedenkstätte Ravensbrück.

In Erinnerungsberichten der – vor allem polnischen Haftgruppe – finden sich Aufzählungen von weiteren kunsthandwerkliche Objekte: Puppen, Stickereien, kleine Plastiken, Teppiche, Abzeichen. Nicht immer ist dabei eindeutig, inwieweit diese Objekte für die SS oder aber im Verborgenen für die Häftlinge selbst – z.B. als Geschenke oder Tauschobjekte – hergestellt wurden. Manche dieser Objekte werden nur in einem Erinnerungsbericht am Rande erwähnt, andere befinden sich im Depot in der Gedenkstätte und können so genauer betrachtet werden. Dennoch werden in diesem Projekt alle – die immateriell via Erinnerungsberichte wie auch materiell überlieferten Objekte des „Kommando Kunstgewerbes“ berücksichtigt.

Die ersten Ergebnisse meines Teilprojekts konnte ich im vergangenen Jahr bei dem interdisziplinären Workshop des Forschungsprojekts vorstellen. Dabei diskutierten wir auch Fragen nach der Spezifik des Konzepts Objektbiographie, vor allem mit Blick auf die Gewalt- und Erinnerungsgeschichte der NS-Konzentrationslager: Wie genau verschränken sich die Biographien der Hersteller*innen, Sammler*innen oder Überbringer*innen von und mit den Objekten? Bei der diesjährigen Europäischen Sommeruniversität Ravensbrück konnte ich zudem die Frage der Darstellung von meinen Forschungsergebnissen in Datenbanken oder Ausstellungen diskutieren.

[1] Eugen Kogon, Der SS‐Staat. Das System der deutschen Konzentrationslager, München 1946, bes. S.290-292.

[2] Dieses und das folgende Zitat sind entnommen aus: Erinnerungsbericht S. Schönemann-Łuniewska, Archiv MGR.

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